Shotgun Stories
  [nicht mehr im Kino - Release: 07. August 2008]
   
 

Ein Film von Jeff Nichols • Son Hayes (Michael Shannon) spricht nicht ĂĽber die Narben auf seinem RĂĽcken. Die unter seiner Haut steckenden Schrotkugeln erzeugen ein Muster von blauschwarzen Flecken. Seine Mitarbeiter in der Fischfarm schliessen Wetten darauf ab, was mit ihm geschehen ist. Seine BrĂĽder, Boy und Kid Hayes, schweigen sich darĂĽber aus. Seine Vergangenheit liegt, wie die Narben, nur unweit hinter ihm. Dies gilt insbesondere fĂĽr die Erinnerung an seinen Vater, der sich noch nicht einmal die MĂĽhe machte, seinen Kindern Vornamen zu geben. Er verliess die drei BrĂĽder, Son, Boy und Kid, als sie noch jung waren. Ihr letzter Eindruck war derjenige eines Trinkers, der seine eigenen BedĂĽrfnisse stets ĂĽber diejenigen der Familie stellte. Die BrĂĽder wurden von ihrer Mutter erzogen, einer hasserfĂĽllten Frau, die ihre Kinder bis heute fĂĽr ihr verpfuschtes Leben und den davongelaufenen Mann verantwortlich macht.

Ihr Vater vergass die Kinder, sobald er weg war, und baute sich woanders ein neues Leben auf. Er liess ab von der Flasche, wurde zum devoten Christen, heiratete eine wunderbare Frau und zeugte vier neue Söhne, die alle einen Vornamen bekamen. Sein Leben war nun geprägt vom Erfolg im Geschäft, in der Gemeinschaft und in der Familie. Sein einziger Schönheitsfehler waren die drei Söhne, die er zuvor verlassen hatte.

Zu Beginn des Films lernen wir Son, Boy und Kid als erwachsene Menschen kennen. Sons Ehe ist heftig am Kriseln - seine Frau ist am Morgen mit Söhnchen Carter ausgezogen - , während Nesthäkchen Kid und der dickliche Boy sich längst eingerichtet haben im permanenten Provisorium: der eine haust in einem Zelt in Sons Garten, der andere wohnt in seinem Van. Es ist Sommer, man sitzt draussen im Freien, trinkt Bier im Garten mit dem vielen Gerümpel oder geht angeln am Fluss; im Gegenlicht der letzten Abendsonne blitzen Spinnennetze und herabsinkende Blütenpollen. Träge und zäh wie Sirup zieht das Leben vorüber.

So leben sie ihr Leben und blicken in die Zukunft, doch da werden sie von der Vergangenheit eingeholt. Es läutet an der Tür, die Mutter steht davor, die Söhne bitten sie nicht herein. "What is it?" fragt Son. "Your father is dead." Keine Reaktion. "When’s the funeral?" fragt er. "You can find out in the newspaper", sagt sie, und bricht wieder auf. "You going?" fragt er. "No." Am Begräbnis spricht der Pfarrer über Rechtschaffenheit. Da tauchen die drei Söhne aus erster Ehe auf. Son lässt seiner Verachtung für den Toten freien Lauf und spuckt auf den Sarg. Man rechnet mit gezückten Colts. Aber es kommt anders, "denn der erst 29jährige Jeff Nichols, der hier seinen Erstling abliefert, ist ein echter Filmemacher und nicht ein Handwerker, der Bilder auf Drehbuchideen pappt. Er weiss bereits, dass er den falschen Beruf ausübt, wenn sein Film nicht den Menschen gerecht wird, deren Geschichte er erzählt." (L’Humanité)

Das Drama aber nimmt seinen Lauf, hier, wo Ehre noch etwas gilt, und wenige Worte in der allgemeinen Sprachlosigkeit um so lauter hallen - die Fehde zwischen den Halbbrüdern eskaliert. Die Wut war stets latent vorhanden, doch nun bricht sie aus und befällt die ganze Bruderschaft. Und die Brüder wissen, ohne es formulieren zu können, dass die Wurzeln des Dramas viel weiter zurückliegen. Fast hilflos verhärten sich diese ganzen Kerle, die irgendwie doch nicht ganze Kerle sind. Inmitten der Baumwollfelder und der Nebenstrassen des südöstlichen Arkansas müssen die Brüder nun entdecken, wie weit man gehen muss oder soll, um seine Familie zu schützen.

Doch selbst wenn sie von Mord und Vergeltung erzählen, bleiben die Bilder still und zurückhaltend.

Kein blutiges Rot durchbricht das TĂĽrkis, Grau-Blau und GrĂĽn des Wassers, der Wiesen und Felder.

Die Besinnung auf die eigenen Kinder oder die, die man mal haben wird, kann schliesslich dem Hass Einhalt gebieten. Auf dass die Übriggebliebenen einmal die besseren Väter sein mögen.


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REGIE:
Jeff Nichols
PRODUKTION:
Lisa Muskat
Jeff Nichols
David Gordon Green
CAST:
Michael Shannon
Douglas Ligon
Barlow Jacobs
Natalie Canerday
Glenda Pannell
Lynnsee Provence
DREHBUCH:
Jeff Nichols
KAMERA:
Adam Stone
SCHNITT:
Steven Gonzales
TON:
Kevin Gradnigo
VISUAL EFFECTS:
Christopher Dusendschon

LAND:
USA
JAHR: 2007
LÄNGE: 92min